Muss es Sandstein sein?
Der geplante Gegenwartskunst-Anbau des Kunstmuseums Bern liegt im Unesco-geadelten Altstadtperimeter. Deshalb ist für den Denkmalpfleger klar: Eine Sandsteinfassade muss her.
Endlich tut sich was, die Euphorie ist gross im Kunstmuseum Bern. Bevor im Sommer ein Architekturwettbewerb für den Kunstmuseum-Anbau gestartet wird, hört sich das Museum auf alle Seiten um. In Podiumsgesprächen diskutieren Expertinnen und Experten, welches Museum der Zukunft die Bundesstadt braucht. An der Museumsnacht im März durfte auch das Publikum mitreden. Wie soll der neue Bau aussehen?
«Klar, schnörkellos», schrieb ein Besucher aufs Post-it, das seither neben vielen anderen im Eingangsbereich hängt. Eine Besucherin wünschte sich etwas «Grosszügiges, Grossstädtisches». «Zeitgenössisch, modern, sandsteinfrei!», schrieb eine Dritte.
Unesco-Label in Gefahr?
Es sind Wünsche nach einem markanten Bau – die aber ohne Chance auf Erfüllung bleiben dürften. Zumindest wenn es nach dem städtischen Denkmalpfleger Jean-Daniel Gross geht. Für ihn steht ausser Frage: Auch ein Erweiterungsbau muss aus Sandstein sein. Er verweist auf die städtische Bauordnung.
«Massgebend ist die Verpflichtung, innerhalb des Altstadtperimeters Fassaden aus Berner Sandstein zu erstellen.» Da sich das Kunstmuseum in diesem Perimeter befindet, gelte der entsprechende Artikel – auch für einen neuen Erweiterungsbau.
Spätestens seit dem grossen Stadtbrand von 1405 bestimmen die Sandsteinfassaden das Berner Stadtbild. «Damals führte man eine Sandsteinpflicht ein, einerseits zum Brandschutz und andererseits aus ästhetischen Gründen», erklärt Gross.
Mit dem Unesco-Label Weltkulturerbe, verliehen 1983, habe sich die Stadt verpflichtet, «Neubauten mit grosser Sorgfalt in den Stadtkörper zu integrieren». Dabei gehe es nicht nur um den Sandstein: «Es geht auch darum, dass sich ein Neubau als Teil des Ensembles ‹Altstadt› versteht und kein Soloplayer wird», sagt Gross. «Wenn ein Neubau die nötige Qualität nicht erreicht, wäre die Unesco-Klassierung tatsächlich in Gefahr.»
Nicht ganz so streng wurde der Sandsteinparagraf vor der Unesco-Adelung gehandhabt, obwohl er seit 600 Jahren immer in irgendeiner Form im städtischen Gesetz stand. In den 1970er-Jahren, als das Kunstmuseum letztmals erfolgreich einen Anbau lancierte, entschied man sich für einen modernen Bau.«Gleichzeitig haben sich die Projektverfasser eines Tricks bedient, indem sie ihr Haus hinter die bereits bestehende Fassade des Vorgängerbaus von Karl Indermühle (1934) gestellt haben», erklärt Jean-Daniel Gross.
30 Jahre später durchkreuzte die städtische Denkmalpflege die Pläne des Kunstmuseums. 2006 sprach sich der damalige Denkmalpfleger Bernhard Furrer gegen das Projekt «an_gebaut» aus. Die Sieger des Architekturwettbewerbs, Bachelard Wagner Architekten, hatten einen kubischen Anbau auf der Rückseite des Museums vorgesehen, der mit der bestehenden Fassade verbunden worden wäre.
Wichtige Fassade bedeckt
Die Denkmalpflege bemängelte damals, dass der Bau «eine der wichtigsten Fassaden der Stadt bedecke» und den alten Sälen im Stettlerbau die natürliche Lichtquelle nehme.Kann man 2019 einen neuen Bau aus Sandstein verlangen? Christopher Berger, Präsident des Architektenverbandes SIA Bern, hat Verständnis für die Haltung der Denkmalpflege. «Den Artikel braucht es, damit im Unesco-Perimeter der Stadt eine durchgängige Materialisierung gewährt ist.»
Dennoch erhofft er sich eine pragmatische Lösung. «Der Umgang mit Sandstein bei neuen öffentlichen Bauten sollte jedoch freier interpretierbar und Gegenstand eines Wettbewerbes sein. Die Denkmalpflege ist dabei Teil der Jury und kann sich bei der Beurteilung der Projekte einbringen.»
Im Kunstmuseum Bern macht man sich auf eine harte Debatte gefasst, so hört man. Die offizielle Verlautbarung bleibt aber diplomatisch. «In der Hodlerstrasse ist nur gemeinsam Aussergewöhnliches möglich», sagt Stiftungspräsident Jonathan Gimmel. «Das Kunstmuseum Bern der Zukunft öffnet sich nach allen Seiten, zur umgebenden Altstadt, zur «Kunstmeile» Hodlerstrasse, zum Aarehang und wird so neuer zentraler Ort für Kunst, Wertedialog und urbane Lebensqualität.
Die qualitativen Anforderungen im Unesco-Weltkulturerbe-Perimeter sind eine Herausforderung, aber auch eine Chance für den Wettbewerb: Wir suchen die beste Architektur für Stadtbild, Kunst und Berner Lebensgefühl, die am Puls der Stadt ‹altern› darf.»
Ein Mann hielt auf dem Post-it-Zettel seinen Wunsch fest: «Ins Sandstein-Stadtbild eingepasst, architektonisch spannend.» Eine Frau: «Irgendwie soll es an Bern erinnern: Sandstein, Arkaden, was auch immer. Zeigt Mut!»
Zum Artikel (Berner Zeitung, Michael Feller, Abo+): Muss es Sandstein sein?
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